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Offene Jugendarbeit

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Allgemein

Offene Jugendarbeit hat zur Aufgabe, junge Menschen in ihren Interessen und Kompetenzen zu fördern, ihnen Angebote zur gesellschaftlichen Teilhabe zu machen und ihnen ein Lernfeld für demokratisches und soziales Handeln zu bieten. In Deutschland wird die offene Jugendarbeit meist von freien Trägern der Jugendhilfe ausgeführt und findet in Jugendklubs/- Einrichtungen statt. Die Ausstattung der Jugendeinrichtungen ist sehr unterschiedlich und i.d.R. abhängig von Mittelzuweisungen durch die kommunalen Haushalte.

In den letzten Jahren wurde vielfach auf die Bedeutung der offenen Jugendarbeit für die primäre und sekundäre Prävention im Bereich Rechtsextremismus, militanter Islamismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hingewiesen. Sozialarbeiter_innen in Jugendklubs sind lokale Bezugs- und Vertrauenspersonen, die die Heranwachsenden über einen längeren Zeitraum begleiten. Eine entsprechend finanzielle Ausstattung vorausgesetzt, sind diese Vertrauenspersonen vor Ort in einer guten Position, wenn anfällige Jugendliche unter den Einfluss von rechtsextremen oder militant-islamistischen Bewegungen geraten und zunehmend Zeichen der Radikalisierung erkennen lassen. Strukturen der professionellen Beratung von außen (vgl. Hako_reJu_Empfehlungen) können sie darin wirksam unterstützen.

Auch in der offenen Jugendarbeit hat sich vielfach gezeigt, wie wichtig es ist, mit gefährdeten jungen Männern und Frauen über deren Rollenvorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu sprechen. Dabei ist es besonders wichtig zu eruieren, inwiefern diese Rollenbilder mit dazu beigetragen haben, dass sich Faszinationen für extremistische Gruppen und deren Aktivitäten und Umgangsformen ausgebildet haben. Schon bei gemäßigten Jugendlichen, die allenfalls für landläufige Formen von Populismus anfällig scheinen, hat es sich als überaus wirksam erwiesen, nicht nur über geschlechtliche Rollenvorstellungen, sondern auch über die Tatsache von verschiedenen sexuellen Orientierungen zu sprechen. Welche Ansichten und Haltungen sie im gesellschaftlichen Alltag gegenüber homosexuell lebenden Menschen einnehmen.

Gerade wenig gefestigte Jugendliche werden neben homophoben Affekten vielfach auch zu sexistischen Haltungen neigen. Dahingehend ist der Auftrag der Jugendarbeit gesetzlich klar geregelt:Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben sind (…) 3. die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.“ (§ 9 SGB VIII). Gerade im ländlichen Raum gibt es jedoch in der Regel zu wenige Angebote, die Mädchen und junge Frauen in ihren Interessen und Fähigkeiten ansprechen und fördern könnten. Indirekt führt dies dann auch dazu, dass gerade ambitionierte und talentierte junge Frauen mehrheitlich den ländlichen Raum verlassen. Das verbleibende Sozialmilieu mag dann umso mehr durch sexistische Haltungen betroffen sein, das dann auch gesteigert für Rassismus und Rechtsextremismus anfällig ist.

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Genderaspekte

Der Mädchen- und Jungenanteil in Jugendklubs variiert je nach Angeboten und Ausstattung und ist zudem abhängig vom Geschlecht der in einer Jugendeinrichtung beschäftigten Sozialarbeiter_innen. Gerade in ländlichen Regionen sind Jugendklubs oft Jungen-Klubs. Mädchen fühlen sich von dem Angebot nicht angesprochen, das zudem häufig nur aus einem Basketballkorb im Hof, einem Kicker bzw. Billardtisch und eventuell noch einem Band-Proberaum besteht. Das Gepräge eines Jungen-Klubs wird noch verstärkt, wenn in der Einrichtung ausschließlich männliche Sozialarbeiter beschäftigt sind bzw. sich dort männlich dominierte Cliquen aufhalten. Auch die oft wenig ansprechende ästhetische Ausgestaltung kann dazu beitragen, dass Mädchen sich eher eigene Rückzugsräume suchen, wo sie mit den Freundinnen unter sich sind. Die Jugendklubs besuchen sie dann allenfalls als Begleitung ihrer männlichen Freunde und Partner. Jugendarbeiter_innen beschreiben es immer wieder als ausgesprochen schwierig, die Mädchen zu erreichen. Oftmals können sie auch keine Aussage darüber treffen, wie sich die Mädchen gegenüber den extremistischen Haltung ihrer männlichen Altersgenossen verhalten, ob sie sie teilen oder sich von ihnen absetzen. Um in der offenen Jugendarbeit Jungen und Mädchen gleichermaßen ansprechen zu können, ist es u.a. wichtig, die bestehenden Arbeitsstellen gemischtgeschlechtlich zu besetzen.

In städtisch geprägten Regionen kann man beobachten, das zunehmend auch mädchengerechte spezifische Jugendeinrichtungen vorhanden sind, die Ziele des geschlechtsspezifischen Empowerments verfolgen, d.h. die Stärkung der sozialen und kreativen Kompetenzen von Mädchen fördern und sie bei familiären Konfliktlagen zu unterstützen. Diese Einrichtungen werden häufig von Mädchen mit Migrationshintergrund besucht, deren Herkunftskulturen zum Teil durch sehr weitreichende Benachteiligungen und Freiheitsbeschränkungen von Frauen und Mädchen gekennzeichnet sind. Kontexte von Zwangsheirat und Ehren-Delikten erfordern eine hohe Beratungs- und Begleitungskompetenz der Jugendarbeiter_innen sowie ein gut vernetztes Arbeiten verschiedener Hilfeträger.

Allgemeine Beobachtungen zur Arbeit mit Mädchen/Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen

(1) Für Mädchen mit Bezügen zu rechtsextremen Milieukontexten lassen sich folgende generelle Rollenmuster und Phänomene finden:

  • Die unauffällige Freundin/ Partnerin,die sich vorwiegend als Begleiterin von männlichen Gruppenmitgliedern versteht bzw. so wahrgenommen wird. Sie beteiligt sich nicht oder nur in indirekten, teilweisen und verdeckten Weisen an den Handlungen und Taten der männlichen Mitglieder.
  • Die gleichwertige Gruppen-Akteurin, die die gleichen Handlungsformen, Kompetenzen und Funktionen in der Gruppe beansprucht wie die männlichen Mitglieder – und diese auch eigenständig ausführt.
  • Mädchen/ junge Frauen aus benachteiligenden Lebenslagen. Dies trifft zwar für die Mehrzahl sowohl der weiblichen als auch männlichen Mitglieder von rechtsextremen Milieus zu. Jedoch finden sich manche Mädchen-spezifische Benachteiligungen noch deutlicher akzentuiert, insbesondere infolge von szeneinternen Vorstellungsmustern über die vermeintliche Ungleichheit und Ungleichwertigkeit der Geschlechter. Die familiären Problemumstände sind im rechtsextremen Milieu insgesamt eher durch kleine, fragile Familien bestimmt, in denen zahlreiche Familienmitglieder nicht präsent sind und nur wenig familiärer Einfluss und Hilfe geben sind.
  • Rechtsextrem orientierte Frauen unter den Praktikantinnen, Mitarbeiterinnen, Studierenden der Sozialen Arbeit. Junge Frauen mit rechtsextremen Haltungen und Zugehörigkeiten werden zunehmend in Studiengängen und Bereichen der praktizierenden Jugendarbeit unter den Praktikantinnen, Mitarbeiterinnen und Studierenden aktiv – und werden dort auch bewusst platziert.

(2) Für Mädchen mit Bezügen zu militant islamistischen Milieukontexten lassen sich folgende generelle Rollenmuster und Phänomene finden:

  • Die bewusst traditionell ausgerichtete junge Frau (Neo-Muslima), die aus der zum Teil beschränkenden und einengenden Bindung an ihre Familie nicht als wesentliche Beeinträchtigung empfindet. Sie ist Stolz auf ihr Kopftuch und die damit für sie verbundenen Werte und Verhaltensmaßgaben, und sie versucht, diese auch für andere als bindend geltend zu machen. Manche dieser Mädchen und jungen Frauen vertreten diese Position sehr nachdrücklich. Wieder andere gehen dabei so weit, dass sie familiäre Repressalien gegen liberaler eingestellte Mädchen anstiften.
  • Die liberal ausgerichtete junge Frau aus eher säkular ausgerichteter Familie. Anders als in rechtsextremen, ländlichen Milieus, kann in den städtischen Jugendeinrichtung, die von jungen Frauen mit Migrationshintergrund besucht werden, manchmal von einer größeren Unterschiedlichkeit von Haltungen und Meinungsbildern ausgegangen werden. Deshalb ist es hier wahrscheinlicher, dass liberal eingestellte junge Frauen, die sich ihrer vergleichsweise großen Freiheit bewusst ist, diese auch in Anspruch nehmen und gegebenenfalls mit traditioneller ausgerichteten Mädchen in Konflikt geraten.
  • Die in traditionellen/archaischen Verhältnissen gebundene junge Frau, die bei aller Verbundenheit mit ihrer Familien die Beschränkungen, die ihr durch die männlichen Familienmitglieder auferlegt wurden, als leidvolle Unterdrückung erleben. Hier besteht die Gefahr von Zwangsverheiratung und weitergehenden Ehren-Delikten.
  • Mädchen/ junge Frauen aus benachteiligenden Lebenslagen. Diese Gruppe ist verhältnismäßig nicht so groß wie in rechtsextremen Milieus, da im islamistischen Milieu mehr mittelständische Familien zu verzeichnen sind. Die familiären Problemumstände in islamistischen Milieus sind im Vergleich mit rechtsextremen Milieus insgesamt nicht so sehr durch kleine, fragile als vielmehr durch große und teilweise kontrollierende bzw. übergriffige Familien bestimmt.

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Genderempfehlungen

Grundprinzipien einer genderreflektierten Jugendarbeit

  • eine akzentuierte Aufmerksamkeit für sexistische und homophobe Äußerungen
  • Parteiliche Jugendarbeit mit Schwerpunkt von koedukativen Zielen
  • ein diskriminierungsfreier Umgang mit Formen von sexueller Orientierung und Gender-Identität in Jugendeinrichtungen
  • eine aktive Reflexion der bestehenden Geschlechterverhältnissen
  • die Förderung der Wahrnehmung von alternativen Geschlechterrollen
  • die Stärkung von Ambivalenz-Toleranz in Bezügen von sexueller Orientierung und Gender – sowie der allgemeinen Erweiterung von gesellschaftlich bestehenden „binären Oppositionen“>

Genderperspektiven in der Jugendarbeit

Hinsichtlich der personellen Ausstattung

  • gemischtgeschlechtliche Teambesetzung
  • Reflektion der eigenen Geschlechterrollen-Vorstellung im Team
  • Professioneller Fachaustausch über Möglichkeiten des Gender-orientierten Arbeitens mit Jugendlichen verschiedener Gruppenzugehörigkeit
  • Fortbildung zur Bedeutung von Gender in Rechtsextremismus, religiösem Fundamentalismus und menschenrechtsfeindlichen Bewegungen

Hinsichtlich der räumlichen Ausstattung

Was in den Einrichtungen der Jugendarbeit (Jugendclubs) für die räumliche Ausstattung gilt, kann/sollte analog dazu, aber auf andere Weisen in den Sozialräumen und an öffentlichen Plätzen geschaffen werden – und zwar an jenen lebensweltlichen Orten, an denen die Jugendlichen sich tatsächlich aufhalten Mädchen/Jungenräume schaffen, gemeinsame Regelerarbeitung insbesondere in Bezug auf sexistische Sprache und Umgang miteinander.

Hinsichtlich der Struktur der Angebote

  • Angebote gendersensibel gestalten: Wenn z.B. Tanzen für Mädchen und Street-Soccer für Jungen angeboten wird, sollten Möglichkeiten der koedukativen Öffnung/ Erweiterung geschaffen und die Diskussionen der Auswirkungen von gesellschaftlichen Geschlechterrollen betrieben werden
  • parteiliche und Gender-irritierende Jungen- und Mädchenarbeit: neue koedukative Erfahrungsräume schaffen (Tanzen für Jungen und Street-Soccer für Mädchen)
  • genderreflektierende Angebote: z.B. Erlebnispädagogische Projekte mit anschließender Diskussion über die Handlungsweisen, die Mädchen bzw. Jungen in bestimmten Situationen übernommen haben
  • bewusstes Erfahren von Situationen der Selbstbestimmung in Konfliktlagen (Empowerment), z.B. durch didaktisierte Arbeit mit einschlägigen Fallgeschichten
  • Cross-work: Pädagoginnen arbeiten mit Jungengruppen, Pädagogen arbeiten mit Mädchengruppen. Z.B. Abenteuercamps für Jungen unter weiblicher Anleitung.

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